Lencis Historia
Als die Seetalbahn zwischen Lenzburg und Seon an der «Station Klopfigen» hielt

Die Seetalbahn hat eine lange Geschichte. Dabei war anfangs gar nicht sicher, ob sie gebaut werden darf – und wie das Bähnli zu einer Ohnmacht führte.

Anja Suter
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Die Seetalbahn am Böjuer Bahnhof im Jahr 1982.

Die Seetalbahn am Böjuer Bahnhof im Jahr 1982.

ETH Zürich Bildarchiv

Wer von Lenzburg nach Luzern möchte und Zeit hat, der steigt in den «Seetaler». Die Bahn tuckert durchs Seetal und bringt die Reisenden nach ganzen 18 Zwischenstopps ans Ziel - den Luzerner Bahnhof. Ihre Arbeit erledigt die Bahn seit 1884. Ihre Geschichte ist lang und abenteuerlich. Zum 100-Jahr-Jubiläum, also im Jahr 1984, hat Ruedi Eichenberger Anekdoten und Fakten zur Bahn in den Lenzburger Neujahrsblättern festgehalten. «Nur wenige Eisenbahnen in der Schweiz haben eine derart abenteuerliche Vergangenheit hinter sich wie die Seetalbahn», schreibt er.

Die Seetalbahn von heute ist das Werk vom Zürcher Ingenieur Theodor Lutz. Er plant ein kostensparendes Projekt, was das damalige Seetalbahnkomitee begrüsst. Aber auch weniger Geld ist Geld, das benötigt wird - und nicht vorhanden ist. 1880 übernimmt Lutz als Oberingenieur selbst die Aufgabe und reist zur Kapitalgebersuche ins Ausland. Zuerst probiert er sein Glück erfolglos in Paris und zieht dann weiter nach London.

Aktienzertifikat der «Lake Valley of Switzerland Railway Company Limited» aus dem Jahr 1881.

Aktienzertifikat der «Lake Valley of Switzerland Railway Company Limited» aus dem Jahr 1881.

Screenshot Lenzburger Neujahrsblätter

«Dies ist umso bemerkenswerter, als Lutz den Aufzeichnungen seiner Tochter zufolge kaum ein Wort Englisch sprach», heisst es in den Neujahrsblättern. Pünktlich zu seinem 39. Geburtstag kann der Ingenieur einen Brief nach Hause schicken, der dort Jubel auslöst. «Der Vertrag für die Finanzierung der Bahn ist zustandegekommen», schreibt er. Die «Lake Valley of Switzerland Railway Company Limited» wird von britischen Anlegern finanziert, denen zuvor «Speck durchs Maul gezogen wurde». So ist die Rede von einer Linie, die «im schönsten Teil der Schweiz situiert» ist und die «Haufen von Touristen» in diesem Landstrich noch deutlich vermehren wird.

Seetalbahn war in anderthalb Jahren gebaut

Die englischen Anleger drängen auf einen raschen Bau. Im April 1882 findet in Hochdorf der Spatenstich statt, anderthalb Jahre später kann die Strecke von Emmenbrücke nach Lenzburg dem Betrieb übergeben werden. «Ob aller Euphorie darf nicht vergessen werden, dass sich das Bähnchen zur Eröffnung noch im ganz rudimentären Zustand präsentierte», ist in den Neujahrsblättern festgehalten.

Auch die Fahrt mitten auf der Strasse hat ihre Tücken. Erst Jahrzehnte später, mit dem Aufkommen des Autoverkehrs, beginnt man die Trasssee an den Rand zu verlegen. Bis dahin gibt es einige Vorfälle, die im Archiv vermerkt sind.

Der Metzgermeister Eduard Baumann aus Basel beschreibt etwa eine Fahrt, ein Jahr nach der Eröffnung wie folgt: «Heute benutzte ich Zug 5 von Beinwyl bis Lenzburg und neigte mich bei der Durchfahrt nach Niederhallwyl leicht zum Wagenfenster hinaus, als mir plötzlich ein gewaltiger Schlag an den Kopf versetzt wurde, der bereits eine Ohnmacht zu Folge hatte.» Der Unhold, der ihm den Schlag versetzt hatte, ist ein geöffnetes Scheunentor, das der Bahn im Wege steht.

Wie die «Station Klopfigen» zu ihrem Namen kam.

Wie die «Station Klopfigen» zu ihrem Namen kam.

Screenshot Lenzburger Neujahrsblätter

Ein Vorfall beim «Tannlihag» zwischen Lenzburg und Seon bringt dem dortigen Waldstück den Übernamen «Station Klopfigen» ein: «Beim Sünder handelt es sich um einen Fuhrmann der Seoner Mühle, welcher der Dampfkonkurrenz offenbar nicht wohl gesinnt ist. Als das Bähnchen an ihm vorbeischnaubte, versetzte er von seinem Gefährt aus dem Zugführer einen ordentlichen Zwick mit der Peitsche», heisst es. Der Zugführer lässt die Bahn umgehend anhalten, zerrt den Kutscher vom Bock und klopft ihn ordentlich aus.

Regelmässig werfen wir einen Blick in die Chroniken der «Lenzburger Neujahrsblätter» – dieses Mal das Jahr 1884 betreffend. Wir schauen, was die Stadt und das Umland vor 20, 70 oder 85 Jahren bewegt hat, und zeigen hübsche Trouvaillen zum Kichern, zum Ärgern oder zum Besserwissen.