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Der kommende Winter wird kein Happening werden – leider

Kolumnist Andreas W. Schmid erinnert sich noch gut an die Sonntage, an denen die Strassen für den motorisierten Verkehr gesperrt waren. Ob autofreie Tage bei der aktuellen Energiekrise jedoch helfen, bezweifelt er.

Andreas W. Schmid
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Von November bis Dezember gab es in der Schweiz autofreie Sonntage, um Benzin zu sparen. Ob das auch bei der jetzigen Energiekrise hilft?

Von November bis Dezember gab es in der Schweiz autofreie Sonntage, um Benzin zu sparen. Ob das auch bei der jetzigen Energiekrise hilft?

Bild: Str / KEYSTONE

Die Ölkrise 1973 war ein Spass. Moment mal, 1973? Das ist verdammt lange her, so lange, dass sich irgendjemand zur Behauptung verstieg: Nur noch Grossmütter und Grossväter hätten lebhafte Erinnerungen an damals. Was natürlich nicht stimmt: Ich bin noch nicht Opa, weder biologisch noch im Geiste, wo ich mich irgendwo zwischen 30 und 40 ansiedeln würde. Und trotzdem sind die Erinnerungen an jenes Jahr sehr präsent.

Ja, die Ölkrise war ein Spass für mich. Von der militärischen Auseinandersetzung, dem Jom-Kippur-Krieg, zwischen Ägypten und Syrien auf der einen und Israel auf der anderen Seite bekam ich als Primarschüler nichts mit. Dass die Organisation erdölexportierender Staaten (Opec), die aus einer Gemeinschaft von arabischen Ländern besteht, damals Erdöl als Druckmittel einsetzte und den westlichen Ländern, die Israel zur Seite standen, weniger oder gar kein schwarzes Gold mehr verkaufte, davon hatte ich keinen blassen Schimmer. Die Auswirkungen aber sah ich sehr wohl, gerade an jenem 25. November 1973, als die Strassen am ersten von drei aufeinanderfolgenden autofreien Sonntagen schweizweit für den Autoverkehr gesperrt wurden, um Benzin zu sparen.

Wir wohnten damals in einer Genossenschaftswohnung in Kleinhüningen und verbrachten unsere Freizeit normalerweise hofseitig, weil es dort keinen gefährlichen Verkehr gab. An jenem Sonntag aber kurvten wir einen ganzen Tag lang ohne Angst auf der Strasse herum. Es wurde Rollschuh gefahren, wir spielten mit unseren Velos «Abstiegerlis», bei dem es darum geht, den Konkurrenten als Ersten zum Absteigen zu zwingen. Oder gluggerten mitten auf dem Strassenasphalt, wobei die Mitte eines Dolendeckels als Ziel diente.

Das Ganze wurde an einem Novembersonntag, den man sonst wohl eher zu Hause verbracht hätte, zu einem Freilufthappening. «Das Fahrverbot wurde mit bemerkenswerter Disziplin eingehalten», heisst es in der Chronik des Basler Stadtbuchs zu jenem Ereignis.

Am 16. Dezember war der Spass bereits wieder vorbei. Bundesrat Ernst Brugger hielt damit Wort: Zur Einführung der autofreien Sonntage hatte er versprochen, dass man rechtzeitig wieder sein Auto benützen dürfe, «wenn die Wintersaison anfängt». Denn egal, was auch passieren mag, ob Krieg, Katastrophe oder gar Weltuntergang – der Schweizer fährt Ski. Gleichzeitig rüsteten sich die westlichen Regierungen und Länder, um sich vom Öl aus dem Nahen Osten zu lösen. Alte, unergiebige Abhängigkeiten wurden ersetzt – durch neue Abhängigkeiten, die man für ergiebiger hielt.

Doch damit nicht genug. «Erneuerbare Energieträger wie Biomasse, Wind oder Sonne», so steht es im Internet auf einer Seite für kluge Köpfchen geschrieben, «rückten verstärkt in den Fokus.» Was soviel heisst wie: Man beschäftigte sich damit, unternahm jedoch nicht wirklich etwas.

Deshalb stehen wir heute da, wo wir stehen. Eine neue Energiekrise droht, die in vielem jener von 1973 ähnelt. Wobei ich glaube, dass es dieses Mal definitiv kein Spass wird – und dies nicht nur deshalb, weil ich älter (aber kein Opa!) geworden bin. Alles ist noch viel komplexer, verzwickter und verworrener als damals. Ich glaube, dass das Ganze richtig heftig werden und nicht einfach mit dem Beginn der Skisaison vorbei sein wird. Auch autofreie Sonntage werden nicht helfen. Also kein Happening, leider.

Andreas W. Schmid arbeitet als Journalist und hat seine alte Schreibmaschine, die «Smith 35», sicherheitshalber wieder funktionsfähig gemacht.

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