Geistschreiber
Das romantische Autorenleben

Mit spitzer Feder kommentiert der Geistschreiber das Geschehen in der Region, im Land, ja auf der ganzen Welt.

Willi Näf
Willi Näf
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Kolumnist Willi Näf mit seinem neusten Werk.

Kolumnist Willi Näf mit seinem neusten Werk.

Kenneth Nars

60’000 neue Bücher pro Jahr. Allein in Deutschland. Es gibt mehr Leute, die schreiben, als solche, die lesen. Selig, wer einen Verlag findet und sein Werk nicht selbst verlegen muss. Selig, wer ein paar Stück verkaufen kann. Selig, wessen Freundinnen eins nehmen, obwohl sie ahnen, dass sie sich ab Seite drei vor der nächsten Begegnung fürchten, weil sie dann die Qual haben zwischen nett und ehrlich sein. Nettigkeit könnte der Schreibmensch ja als Ermutigung missverstehen. 60’000 Neuerscheinungen beweisen, wie nett viele Freundinnen sind.

Eine Geschichte. 2017 bringt ein Basler Verlag einen Roman heraus. Hardcover, gedruckt in der Schweiz, 1500 Stück, für den Erstling eines nur regional bekannten Autors ist das flott. 2020 liest dieser zufällig auf der Website eines Buchhändlers, sein Roman sei nicht mehr lieferbar. Ha! Grund für ein Cüpli!

2022 erhält er das E-Mail einer netten Dame. Es gebe da noch einen Restposten, er könne ihn zum Spottpreis abholen. «Aber der Roman ist doch ausverkauft?», spricht der Autor und runzelt die Stirn. «Ist er nicht», antwortet die Dame. «Der Verlag stellte 2019 den Betrieb ein und überliess die Bücher all seiner Autoren einem neuen Vertriebspartner. Und der strich im Jahr darauf die Segel. Darum bekamen die Buchhandlungen keine Bücher mehr und meldeten sie als vergriffen. Etwas unglücklich, das alles.»

Wie gross der Restposten ist? Das wollen Sie nicht wissen. Um die 500 Stück. Der Autor ärgert sich 13 Sekunden lang. Danach rechnet er 41 Sekunden lang. Danach schlürft er ein Cüpli. Selbst wenn er nämlich nun das Buch an seinen Lese- und Erzählabenden für ein lächerliches Zehnernötli anbietet, verdient er dreimal mehr daran als im Handel. Die brutale Wahrheit ist: Ein Schreibmensch bekommt gerade mal zehn Prozent vom Ladenverkaufspreis.

«Was hättet ihr mit den Büchern gemacht?», fragt der Autor die Dame beim Abholen. «Makuliert», antwortet sie. Will heissen: umgeschult auf Fernwärme. Auf der Fahrt nach Hause sinniert der Autor über die romantischen Vorstellungen vieler Leute vom Schriftstellerleben. Vorerst wird er eh kein neues Buch schreiben. Höchstens eine Kolumne über die Welt der Bücher in Zeiten von Netflix, Instagram und Youtube.

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