Dada
Dadaistische Gebete für die Besessenheit

Mit der ersten von 165 Offizien begannen gestern Morgen die Jubiläums-Feierlichkeiten im Cabaret Voltaire

Daniel Diriwächter
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Im Dienste der Kunst: Adrian Notz, Direktor des Cabaret Voltaire, an der ersten von 165 Offizien. Daniel Diriwächter

Im Dienste der Kunst: Adrian Notz, Direktor des Cabaret Voltaire, an der ersten von 165 Offizien. Daniel Diriwächter

Daniel Diriwächter

An der Spiegelgasse 1 in Zürich war am Donnerstagmorgen der Geist der Vergangenheit zu spüren: Das Cabaret Voltaire öffnete seine Tore um halb sieben und markierte damit den Start für «165 Feiertage: Obsession Dada». Adrian Notz, Direktor des Hauses, erinnerte gleich zu Beginn an den 5. Februar 1916, das Geburtsdatum des Mythos Dada. Dessen «Eltern» Hugo Ball und Emmy Hennings eröffneten damals das Cabaret Voltaire – mit Erfolg: «Das Lokal war überfüllt; viele fanden keinen Platz mehr», schrieb Ball. Alsbald liessen sich im Lokal alle sieben Dada-Begründer, neben Ball und Hennings noch Hans Arp, Tristan Tzara, Marcel Janco, Richard Huelsenbeck und Sophie Taeuber-Arp jeden Abend bis zu «Irrsinn und Bewusstlosigkeit» gehen, um dem tobenden Weltkrieg die Stirn zu bieten – und Dada zu gebären.

Wie ein Stundengebet

Diese Bilder kamen mit der ersten von 165 Offizien wieder hoch: 165 Tage der Huldigung stehen jetzt bevor – die Anzahl bekannter Dadaistinnen und Dadaisten. Aber warum jeden Morgen ein Offizium; ein Stundengebet? «Wir haben diese Form gewählt, weil das eine sehr strenge klösterliche Form ist, in der unsere Obsession Dada eingefasst werden kann. Die Menschen sollen sich orgiastisch dem Gegenteil all dessen hingeben, was nützlich und brauchbar ist», erklärte Adrian Notz gestern. Nicht von ungefähr: Dadaist Hugo Ball war als «magischer Bischof» stark geprägt vom Katholizismus. Dessen Rituale inspirierten ihn und seine Werke für den Dadaismus.

Das erste Offizium wurde Armada von Duldgedalzen gewidmet. Ihr wirklicher Name lautete Luise Straus-Ernst; sie war Gattin des surrealistischen Künstlers Max Ernst. Die Kölner Wohnung des Ehepaars wurde zu jener Zeit auch «Kraftzentrum» des Dada-Kölns genannt. Nach deren Scheidung machte Straus-Ernst eine beachtliche Karriere als Journalistin, später emigrierte sie nach Paris, das war 1933. Unter nie ganz geklärten Umständen wurde die Dadaistin im Zweiten Weltkrieg in ein Sammellager für französische Juden verschleppt. Ihre Spur verliert sich in Auschwitz.

Es geht um die Geste

Die Würdigung von Duldgedanzen hielt Notz vor Hugo Balls Bild mit dem Rücken zum Publikum. Im Anschluss daran las er ein Gedicht des Meisters – «Gadji beri bimba» – und betonte dessen Laute ganz im Stile der katholischen Rhetorik. Nach wenigen Minuten war der Moment des Gedenkens schon beendet.

Das Stundengebet in der Krypta, wie das Lokal nun auch genannt wird, zog etwa eine Handvoll Interessierte sowie Pressevertreter an. Dass es nicht mehr waren, störte Notz aber nicht: «Da es um eine Geste geht, spielt das Publikum eine sekundäre Rolle», sagte er. Jeden Abend finde aber eine Soiree statt, bei der jeweils viele Gäste erwartet werden. Die Offizien haben eher das Ziel, das Cabaret Voltaire zu einem Ort der zeitgenössischen Kunst zu transformieren, wie Notz weiter erklärt. «Es ist ein Dienst an der Kunst.»

Weitere 164 dadaistische Morgenandachten folgen. Aber nicht bei allen der Dadaistinnen und Dadaisten sind viele Details aus deren Leben überliefert, wie Nora Hauswirth, Verantwortliche für Kommunikation des Cabaret Voltaire, bedauert. Sie hofft, dass mit den Aufzeichnungen der Offizien, die online zugänglich sind, weitere Details über Personen ans Licht kommen, die den Dadaismus in den 100 Jahren mitgeprägt haben.