Abstimmung
Historischer Entscheid: AHV-Reform wird an Urne hauchdünn angenommen

Es ist ein historischer Entscheid: Schweizerinnen und Schweizer stimmen einem höheren Frauenrentenalter zu. Damit gelingt nach einem Vierteljahrhundert wieder eine Reform. Bitter ist die Niederlage für die Linke. Sie hat damit ihre Vetomacht verloren.

Reto Wattenhofer
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Der Ausgang über die AHV-Reform wird zur Zitterpartie. Gegnerinnen schauen gebannt auf die Hochrechnungen.

Der Ausgang über die AHV-Reform wird zur Zitterpartie. Gegnerinnen schauen gebannt auf die Hochrechnungen.

Keystone

Die Bedeutung des Volksverdikt lässt sich nicht überschätzen: Seit 27 Jahren ist jeder Anlauf gescheitert, die erste Säule der Altersvorsorge zu reformieren. Nun hat die Schweizer Bevölkerung den Weg frei gemacht für eine Rentenreform. Der Abstimmungssonntag geriet jedoch zur Zitterpartie. Das Ja fiel denkbar knapp aus.

Bei der schrittweisen Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre sagten 50,6 Prozent des Stimmvolks Ja. Am Ende gaben 32’319 Stimmen den Ausschlag. Bei der Finanzierung der Reform – der Anhebung der Mehrwertsteuer um 0,4 Punkte auf 8,1 Prozent – beträgt die Zustimmung 55,1 Prozent. Einmal offenbarte sich ein tiefer Röstigraben. Alle Westschweizer Kantone lehnten ein Frauenrentenalter 65 ab. Am deutlichsten war der Nein-Anteil im Jura mit 70,9 Prozent. Der höchste Ja-Anteil verzeichnete Zug mit 65,0 Prozent.

Im Gegenzug für die Erhöhung des Rentenalters sollen Frauen kompensiert werden, die kurz vor der Pensionierung stehen. Entschädigt werden die ersten neun Frauenjahrgänge. Abhängig vom Zeitpunkt der Pensionierung und vom Einkommen variiert der Zuschlag zwischen 50 und 160 Franken.

Linke verliert Vetomacht

Für Linke und Gewerkschaften ist das Volksverdikt eine herbe Niederlage, die lange nachhallen wird. Lange Zeit galt: Ohne ihre Unterstützung lässt sich keine Rentenreform an der Urne durchboxen. Am Sonntag haben sie ihre Vetomacht verloren. Zum Durchbruch verhalf der Reform eine bürgerliche Allianz. Zünglein an der Waage war die Mitte-Partei, die sich bei der letzten Reform noch auf die andere Seite geschlagen und mit der Ratslinken eine Vorlage gezimmert hatte.

Der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegner war programmiert. Als sich das Parlament im vergangenen Dezember auf die letzten Details einigte, war klar: Das Stimmvolk wird das letzte Wort haben. Die links-gewerkschaftliche Allianz liess dabei ihre Muskeln spielen und zeigte eine beachtliche Mobilisierungskraft. In weniger als 50 Tagen sammelte sie über 100’000 Unterschriften.

Die Gegner erachten die AHV-Reform als Abbauvorlage, die besonders für Frauen schmerzhafte Einbussen bringe. Diese müssten jährliche Rentenkürzungen von 1200 Franken hinnehmen – obwohl ihre Rentenlücke noch immer rund einen Drittel betrage. Für die Allianz ist klar, dass die Reform erst der Anfang ist: Arbeitgeber und bürgerliche Parteien würden «auf wei­tere Angriffe auf das Herzstück der sozialen Sicherheit in diesem Land» setzen, kritisiert der SGB. Geplant sei ein Rentenalter 67 wie auch Rentenkürzungen bei den Pensionskassen.

AHV gerät zusehends in finanzielle Schieflage

Anders die Befürworter: Nach 25 Jahren ohne umfassende Reform gerate die AHV finanziell zunehmend in Schieflage. Ihr Credo: Je länger zugewartet werde, desto teurer werde es für künftige Generationen, das Sozialwerk finanziell wieder ins Lot zu bringen. Die Reform soll die Finanzen des Sozialwerks für rund zehn Jahre stabilisieren und das heutige Rentenniveau sichern. Sie sei «ausgewogener Kompromiss aus Mehreinnahmen und Einsparungen», argumentierte auch der Bundesrat.

Besonders erleichtert dürfte in der Landesregierung Alain Berset sein. Für den Sozialminister stand viel auf dem Spiel: Bei einem Scheitern der Vorlage wäre das eine weitere herbe Niederlage. Bereits die letzte Reform war vor vier Jahren vom Stimmvolk versenkt worden.