Ulrich Bräker verbrachte als Kind 13 Jahre auf einem Hof im Dreischlatt in Krinau. Er bezeichnete diese Zeit später als die glücklichste seines Lebens, obwohl er wegen der Arbeit auf dem Hof nicht regelmässig zur Schule gehen konnte. Das Wohnhaus steht noch und gehört seit 2009 einer Bauernfamilie aus Krinau.
Die Strasse führt in einer S-Kurve unter der Bahnlinie Lichtensteig–Wattwil hindurch und steigt dann steil an zum Schulheim Hochsteig. Danach windet sie sich weiter durch Wiesen und Wald in Richtung Geiss-Chopf. Im Wald liegen immer wieder gefällte Baumstämme, säuberlich aufgeschichtet, neben der Strasse und warten auf den Abtransport. Offenbar wurde fleissig Holz geschlagen.
Von Zeit zu Zeit ist ein Wohnhaus oder eine Scheune zu erblicken. Die Strasse steigt weiter, mit vielen Kurven und durch saftig grüne Wiesen, bis auf rund 940 Metern über Meer, wo sie flach wird und fast zu Ende ist.
Hier, im Dreischlatt, das zu Krinau und damit zur Gemeinde Wattwil gehört, findet man das Bräkerhaus, ein Wohnhaus mit angebauter Scheune. Letztere ist wie die auf der anderen Seite angebaute Garage jüngeren Datums. Mathias und Bea Ammann-Vas erwarten den Journalisten des «Toggenburger Tagblatts».
Die Redaktion der «Wiler Zeitung» und des «Toggenburger Tagblatts» schreibt diesen Sommer in einer Artikelserie über unbekannte Orte und ihre Geschichten. (red)
Die beiden vermieten das Bräkerhaus als Ferienhaus. Mathias Ammann kennt dessen Geschichte. Bis 2001 diente es der Ortsgemeinde Wattwil als Wohnhaus für die Hirten, die für die Alp Geiss-Chopf verantwortlich waren.
«Die Ortsgemeinde Wattwil suchte jeweils nach einigen Jahren neue Alphirten. Deshalb kommen immer wieder Menschen hier vorbei, die in diesem Haus gelebt haben oder geboren worden sind.»
2009 haben Mathias und Bea Ammann-Vas das Bräkerhaus und das dazugehörige Land kaufen können. Die beiden haben einen Hof von rund 45 Hektaren, ohne die Alp Geiss-Chopf, die sie bewirtschaften. Sie betreiben Mutterkuhhaltung nach Biostandard und besitzen 20 Original-Braunvieh-Mutterkühe. Dazu kommen Aufzucht- und Weidetiere, total rund 80 Kühe, Rinder und Kälber sowie Ziegen, Esel und ein Pferd.
Die Raumaufteilung des Hauses sei wahrscheinlich gleich wie zu Ulrich Bräkers Zeiten, sagt Mathias Ammann. Hingegen seien keine Gegenstände aus jener Zeit mehr vorhanden.
«Der zweite Stock wurde offenbar später ausgebaut; auf alten Fotos war das Dach flacher.»
Ulrich Bräker, als Schriftsteller als der «arme Mann aus dem Toggenburg» bekannt, wurde kurz vor Weihnachten 1735 im Weiler Näppis (Wattwil) geboren. 1741 zügelten seine Eltern mit den Kindern auf den Hof im Dreischlatt, wo sie sich ein besseres Auskommen erhofften. Offenbar erfolglos, denn sie mussten den Hof 1754 wegen Überschuldung wieder verlassen.
Später sollte Ulrich Bräker die Jahre im Dreischlatt die schönsten seines Lebens nennen, obwohl er als Kind auf dem Hof mithelfen und die Ziegen auf der Weide hüten musste. Die Schule konnte er deshalb nur unregelmässig besuchen.
Heute dient das Bräkerhaus als Ferienhaus. Beim Besuch des «Toggenburger Tagblatts» verbringt eine Mutter aus dem Kanton Zürich mit ihrem Sohn einige Tage hier. Für diesen ist es spannend, mit Mathias Ammann mitzufahren, wenn dieser das Emd hereinholt. Er steigt, ohne zu zögern, ins Fahrzeug ein.
Mittlerweile laufe die Vermietung gut, sagt Mathias Ammann. Die Coronapandemie habe die Nachfrage gefördert. Die Gäste seien vor allem Menschen, welche die Ruhe und die Natur suchen.
«Viele Mieterinnen und Mieter kommen mit Haustieren. Für Kinder ist der Bauernhof mit den vielen Tieren spannend. Die Strasse zum Bräkerhaus hat fast keinen Verkehr und dennoch kann man bis vors Haus fahren.»
Neben Touristen haben schon Handwerker, die im Raum Wattwil arbeiteten, das Haus gemietet. Ebenso dient es manchmal als Veranstaltungsort für Geburtstagsfeste – Partyraum ist die Scheune – und eine Musikband nutzte es für ein Wochenende für Proben. Die Menschen seien von der Ruhe hier begeistert, sagt Bea Ammann.
«In der Nacht ist es wirklich dunkel, denn es gibt keine Strassenlaternen hier. Dafür sieht man die Sterne.»
Das Haus hat elektrischen Strom und fliessendes Wasser, übrigens Quellwasser. Internet und Mobilempfang fehlen aber. Damit die Gäste sich die Zeit auch ohne die sozialen Medien vertreiben können, gibt es zahlreiche Bücher und Gesellschaftsspiele zum Ausprobieren.
Bea Ammann hat dabei eine interessante Beobachtung gemacht.
«Die meisten Gäste wissen nichts von Ulrich Bräker. Einige interessieren sich aber für ihn, wenn sie erfahren, dass er hier gelebt hat, und vertiefen sich in seine Werke.»
2018 wurde ein Stück über Ulrich Bräker im Dreischlatt mit grossem Erfolg aufgeführt. Die Infrastruktur wurde zudem für Aufführungen einer dramatisierten Version von Otfried Preusslers Roman «Krabat» genutzt.
Mathias Ammann wäre einem neuen Theaterprojekt nicht abgeneigt. Eine Anfrage der Bühne Thurtal für «Der schwarze Tod» ging offenbar ein. Mathias Ammann musste sie aber ablehnen, da schon Vermietungen vorlagen.