Leser Roland Humair findet kein Lob für Josef Dittlis hundertprozentige Erfolgsquote bei seinen Vorstössen in Bern.
Zum Beitrag «Dittli ist der Effizienz-König», Ausgabe vom 15. Dezember 2022
Ständerat Josef Dittli sei der Effizienz-König des Parlamentes, schreibt die «Urner Zeitung» vom 15. Dezember. Dies, weil er bisher nur Vorstösse im Parlament gemacht hat, die auf Zustimmung stiessen. Er mache nur Vorstösse, so sagt Dittli selber von sich, die das Potenzial hätten, mehrheitsfähig zu sein. Ist das ein Grund zur Freude oder zu Stolz? Wohl kaum. Genügt es, Vorstösse zu machen, die von vornherein garantiert mehrheitsfähig sind? Oder wäre es nicht vielmehr die Aufgabe eines Parlamentariers, daran zu arbeiten, dass wichtige Anliegen irgendwann eine Mehrheit finden?
Im Laufe der Geschichte waren es immer wieder Parlamentarier und seit 1972 auch Parlamentarierinnen, die sich für wichtige Anliegen engagierten, zu einer Zeit, als diese noch kaum Aussichten hatten auf Erfolg. Es gab Menschen innerhalb und ausserhalb des Parlamentes, die sich, um nur zwei Beispiele zu nennen, für die Errichtung einer AHV, für die Einführung des Frauenstimmrechtes einsetzten, als diese noch keine Mehrheit fanden. Nur dank dem unermüdlichen Einsatz von diesen Menschen sind diese zwei Anliegen heute nicht mehr wegzudenkende Selbstverständlichkeiten.
Diese engagierten Leute, Frauen und Männer, innerhalb und ausserhalb des Parlamentes, waren Lobbyisten des Volkes und nicht irgendwelcher Wirtschaftsverbände. Sie setzten sich für das Wohl der ganzen Gesellschaft ein, ohne Aussicht auf kurzfristigen Erfolg, ohne Aussicht auf Lorbeeren oder Königswürden und zumeist auch ohne «Beraterhonorare».
Kurz gesagt: Würde das Parlament nur aus Parlamentarierinnen und Parlamentariern bestehen, die auf den kurzfristigen Erfolg schielen, wäre unsere Gesellschaft nicht, wo sie heute steht. Es braucht auch heute noch Leute im Parlament, die wagen, ein Anliegen vorzubringen, das noch nicht auf Erfolg hoffen kann. Wir brauchen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die den Weitblick haben, die voraussehen, was nötig ist, damit sich die Gesellschaft weiterentwickelt, damit wir alle – und nicht nur eine kleine Schicht – auch weiterhin gut leben können in unserem Land.
Wir brauchen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die den Mut haben, sich für Anliegen einzusetzen, für die vielleicht noch nicht auf Anhieb eine Zustimmung der Mehrheit winkt. Wir brauchen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die unermüdlich Überzeugungsarbeit leisten für Anliegen, die uns vielleicht zu Beginn als unnötig oder als unmöglich erscheinen, vielleicht gar als abwegig – aber morgen schon als Selbstverständlichkeiten, so wie die AHV und das Frauenstimmrecht. Wir brauchen weder Könige noch Wetterfahnen.
Roland Humair, Altdorf