Nachdem der Verkehr in Wassen nach zwei Stunden Strassensperrung wieder anrollt, fahren unzählige Besucherinnen und Besucher des Alpabzugs unverzüglich nach Hause.
Auf der Alp Hinteralp im Meiental war für das Alppersonal und die elf Helferinnen und Helfer die Nacht kurz. Bereits um 2 Uhr sind sie aufgestanden, um 80 Kühe zu Melken und festlich herauszuputzen. Um
7 Uhr werden die Kühe zum Schmücken vor dem Stall angebunden und eingereiht, die 35 Spitzenkühe zuvorderst.
Achtzig grosse Fahrtreicheln liegen auf einer grossen Plane bereit, die als Erstes allen Kühen angezogen werden. Trotz der eingespielten Routine herrscht eine gewisse Hektik, der Zeitdruck ist gross. Angeleitet wird das Schmücken der Kühe vom Bauern Walter Kempf und von Paul Epp, die seit 27 Jahren für den Kuhschmuck zuständig sind. «Oskar Aschwanden, der langjährige Kuhhirt, hat den Alpabzug in dieser Form angeregt. Anfänglich machten wir den Schmuck auf der Alp, verwendeten dazu Tännchen und Naturblumen.» Längst haben die beiden auf Tannenästchen und Blumen aus Kunststoff umgestellt. Zu Hause fertigen Walter Kempf und Paul Epp während den Wintermonaten in wochenlanger Arbeit die Blumenkränze.
Kurz vor 9 Uhr ist alles bereit. Nun treffen die Treiberinnen und Treiber ein, dabei sind viele Jugendliche und Kinder. Auch das fünfköpfige Alpteam, vier Männer und eine Frau, hat sich fein gemacht. Über 115’000 Liter Milch haben sie zu 11 Tonnen Alpkäse und weiteren Alpprodukten wie Mutschli, Joghurt, Ziger und Butter verarbeitet. Nach dem gemeinsamen Dankgebet binden Paul Epp, Walter Kempf und die Treiber die Kühe los und das Sennten macht sich auf den 8 Kilometer langen Weg nach Wassen. Mit dabei ist auch Regierungsrat Christian Arnold, er gibt hier zehn Kühe z Alp.
In Wassen leben 416 Einwohnerinnen und Einwohner (31. Dezember 2022), für den Alpabzug reisen rund 2000 Personen mit dem öffentlichen Verkehr, Extrabussen und Autos nach Wassen. Sämtliche Parkplätze sind voll, und die Autobahn A2-Ausfahrt in Wassen Richtung Süd sowie das Dorfzentrum Wassen ist von 11 und 13 Uhr für den Verkehr gesperrt. Auf dem Schulhausplatz entlang der 19 Marktstände mit Käsespezialitäten, Schaukäserei und Handwerkserzeugnissen ist kaum mehr ein Durchkommen. Die Fahnenschwinger Martin Arnold und Ruedi Christen, Alphornbläsergruppe «ännet am Schächä», der Jodlerklub Tälläbuäbä und die Trychlergruppe Gersau verkürzen die Wartezeit bis zum Eintreffen der Sennten.
Den Betruf singt Sepp Huber, ehemaliger Älpler vom Urnerboden. Auf der Autobahn, gut vom Schulhausplatz einzusehen, stauen sich die Autos Richtung Süden auf einer Länge von fünf Kilometern.
Kurz vor halb zwölf sind im Dorf endlich die beiden Sennten mit den festlich geschmückten Kühen zu bewundern. Danach folgen der Meientaler Andreas Baumann mit seinen zwei Lamas und die Ziegenherde von Christian Näf aus der Göscheneralp. Sogleich versammeln sich die Ziegen beim Blumenbeet der Verkehrsinsel und stillen dort ihren Heisshunger. Hunderte von verzückten Schaulustigen halten diese Momente mit ihren Natels und Fotoapparaten fest. Nach einer halben Stunde ist das Spektakel vorbei.
Als um 13 Uhr die Strassensperrung durch die Feuerwehr aufgehoben wird, rollen wieder Autos, Wohnmobile und Motorräder in Kolonnen Richtung Gotthard und Susten. Die Folge: Viele Besucherinnen und Besucher verlassen unmittelbar das Dorf, der Schulhausplatz mit den Marktständen verwaist, und die Einheimischen haben sich zum Mittagessen ins Festzelt und in die Mehrzweckhalle zurückgezogen. «Lohnt sich der ganze Aufwand? Nur zwei Stunden war Wassen ohne Verkehr», sagt der Senntenherr der Meientaler Alp und Wassner Bauer Markus Baumann erzürnt. «Wassen wäre ein schönes Dorf, hier kann man leben, aber mit dem täglichen Dauerstau auf der Autobahn und dem Ausweichsverkehr durch unser Dorf ist es nicht mehr zum Aushalten.»