Kolumnist Ronny Arnold hat bei seinem jüngsten Erlebnis mit einem Diebstahl zu kämpfen. Trotzdem zog der Ort ihn und seine Begleitung so magisch an, dass es fast nicht mehr weiter gehen sollte.
«Je planmässiger die Menschen vorgehen, umso wirksamer trifft sie der Zufall»: Dieses Zitat des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt fasst unsere Erlebnisse der vergangenen Tage sehr passend zusammen. Xenia und ich reisen seit Anfang Oktober mit unserem Camper Elsa durch Frankreich. Wir planen, kurz vor der spanischen Grenze einen eintägigen Zwischenstopp einzulegen, um anschliessend nach Spanien weiterzureisen. Doch wie schon so oft auf unserer Reise werfen wir unseren Plan über Bord, weil der Zufall zuschlägt.
Wir fahren mit unserem alten Mercedes 309D mit Jahrgang 1987 auf einen fast überfüllten Stellplatz in Capbreton, einer französischen Gemeinde direkt am Atlantik. Dort ergattern wir mit viel Glück den wohl letzten Parkplatz – direkt neben einem weiteren Mercedes-Oldtimer. «Anton» hat Jahrgang 1970 und ist mit viel Liebe zum Detail ausgebaut worden. So erzählt es mir Tim, der Besitzer des grauen Fahrzeugs. Zusammen mit Hannah lebt er seit mehr als zwei Jahren im Van und reist durch Europa. Aber das wissen wir eigentlich alles schon, denn wir zählen zu den knapp 240'000 Followern, die ihrem Kanal auf Instagram folgen. Wir übernachten also neben erfolgreichen digitalen Nomaden, die in naher Zukunft ein grosses persönliches Projekt realisieren werden. Aber mehr dazu später.
Am Samstagabend sitzen Xenia und ich bereits gemeinsam mit Tim, Hannah, Janis und Maya an einem Tisch und geniessen den lauwarmen Abend bei einem Glas Wein. Janis und Maya sind Bekannte von Tim und Hannah und haben sich genau vor einem Jahr ebenfalls auf diesem Stellplatz kennen gelernt. Sie erzählen uns von diesem speziellen Vibe, der hier herrsche, dass Leute hier viel länger bleiben, als sie eigentlich geplant hätten, und dass man ganz einfach allerlei neue Menschen kennen lernt. Und das trifft wirklich zu: Am Sonntagmorgen werden wir nicht wie üblich vom Hupen des Bäckerwagens geweckt, sondern von einer Gruppe diskutierender Franzosen und Holländer. Eine Diebesbande hat den Stellplatz heimgesucht. In einer organisierten Aktion sind unzählige Fahrräder, Surfbretter und Skateboards gestohlen worden. Auch unsere Mountainbikes sind weg. Zwangsläufig bleiben wir länger, um in den nächsten Tagen diesen Diebstahl bei der Polizei zu melden. Tatsächlich lernt man «problemlos» neue Leute kennen. Die Bekanntschaft mit dem freundlichen Polizisten, der meine Anzeige aufnimmt, wäre jedoch nicht unbedingt nötig gewesen.
Die Tage vergehen, die Gruppe wird immer grösser und eine Woche später feiern wir gemeinsam mit vielen anderen Leuten die Markteinführung der Kleidermarke von Tim und Hannah. Sie haben ein Jahr lang an ihrer eigenen Kleiderkollektion «Here comes the sun» gearbeitet und eröffnen den Onlinestore an diesem Samstagabend. Natürlich begleite ich den Korkenknall social-media-wirksam mit meiner Gitarre und spiele George Harrisons «Here Comes The Sun». Eine wundervolle Zeit mit vielen neuen Bekanntschaften geht nach einem diebischen Start langsam, aber sicher zu Ende.
Der Stellplatz in Capbreton hat wirklich etwas Besonderes an sich: In fünf Minuten erreicht man zu Fuss den Surfstrand, abends ertönen die unterschiedlichsten Gitarrenklänge über dem Stellplatz, morgens kommt der Bäckerwagen zwischen halb 9 und halb 10 und bringt süsse Croissants und typisch französische Baguettes vorbei. Kurz: Der Abschied von diesem magischen Ort fällt einem, je länger man bleibt, immer schwerer.
Trotzdem zieht es uns weiter. Langsam sehnen wir uns nach mehr Natur und mehr Platz. Die in den letzten Tagen aufgebaute Routine muss wieder durchbrochen werden, und in Spanien gibt es noch viele interessante Dinge zu entdecken. Wir setzen uns neue Ziele und planen wieder ein paar Tage voraus. Ganz im Sinne von Mark Twain, der es einmal treffend formuliert hat: «Gegen Zielsetzung ist nichts einzuwenden, sofern man sich dadurch nicht von interessanten Umwegen abhalten lässt.»