Neu sollen Firmen ihre Lehrstellen eineinhalb Jahre vor Lehrbeginn publizieren dürfen. Das kommt auch beim Urner Lehrerverband nicht gut an.
Betriebe publizieren auf der staatlichen Lehrstellenplattform (Lena) ihre Lehrstellen höchstens ein Jahr im Voraus. Zu spät, findet die Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK). Geht es nach ihr, sollen sich die Schüler bereits in der zweiten Oberstufe um eine Lehrstelle kümmern, statt wie bisher in der dritten. Darum hat sie beschlossen, dass die Lehrstellen vier Monate früher auf Lena veröffentlicht werden, wie Radio SRF am Donnerstag, 17. Dezember, berichtete.
Dies stösst seitens der Lehrerschaft auf Kritik. Würden die Lehrstellen früher auf der Plattform publiziert, so schade dies den Schülern, ist Samuel Zingg, der die Sekundarlehrer im Lehrerdachverband vertritt, überzeugt: «Die ganze wirtschaftliche Entwicklung geht dahin, dass man sie immer früher an eine Lehrstelle zu binden versucht, obwohl sie überhaupt noch nicht bereit sind, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und damit auswählen zu können, wohin sie wirklich gehen wollen.»
Selbst den Lehrbetrieben würde es nichts nützen, Lehrverträge zu früh abzuschliessen, sondern ihnen im Gegenteil schaden: «Man schneidet sich ins eigene Fleisch, indem man mehr Abbrüche hat und dadurch immer unzuverlässiger weiss, ob die Schülerinnen und Schüler die Lehre wirklich bis zum Schluss im eigenen Betrieb machen», so Zingg. Schon heute wechselt fast jede und jeder dritte Lernende den Ausbildungsbetrieb.
Gar keine Freude am früheren Termin hat auch Sepp Wipfli, Präsident des Lehrervereins Uri. «Das bringt den ganzen Lehrplan mit dem Berufswahlprozess durcheinander. Die zweite Oberstufe ist der richtige Zeitpunkt für Schnupperlehren zur Berufserkundung, der Beginn der dritten Oberstufe für Bewerbungsschnupperlehren», sagt Sepp Wipfli, der bis zu seiner Pensionierung diesen Juli jahrzehntelang als Sekundarlehrer unterrichtete. Der bisherige Fahrplan habe sich bewährt, meint er mit Blick auf die Lehrabbruchquote, die in Uri so niedrig sei wie in kaum einem Kanton. Er befürchtet, dass diese Quote steigt. «Wegen der tiefen Schulabgängerzahlen wird sich der ‹Run› auf die guten Schüler verstärken. Viele Jugendliche könnten sich zeitlich unter Druck gesetzt fühlen auf ihrer Suche nach einer Lehrstelle und vorschnell eine falsche Wahl treffen.»
Für René Röthlisberger, Präsident von Wirtschaft Uri, ist klar: «Lehrstellenzusagen gehören in die dritte Oberstufe. Zu frühe Zusagen schaden der Berufsbildung und bringen sie in Verruf.» Es würde die Gefahr bestehen, dass sich talentierte Jugendliche in Zukunft vermehrt von der Berufsbildung abwenden und andere Wege wählen würden.
Leider beobachte er eine negative Entwicklung. So sei der Anteil der Lehrstellen, der in Uri schon in der zweiten Oberstufe vergeben worden sei, von 4 Prozent 2014 auf 18 Prozent 2017 gestiegen. «Oft bekommen Jugendliche heute ihre Zusage bereits nach der ersten Schnupperlehre. Damit ist ihre Berufswahl vorzeitig abgeschlossen. Andere Berufe, welche allenfalls besser passen könnten, werden nicht mehr in Betracht gezogen.»
Auch Dominic Wetli, Leiter der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung Uri, steht einer Vorverlegung skeptisch gegenüber. «Es kann für die Jugendlichen und deren Eltern ein gewisser Druck entstehen, wenn die Lehrstellen früher aufgeschaltet sind. Für viele ist es in der zweiten Oberstufe noch zu früh, einen Lehrvertrag zu unterschreiben, da sie im Berufswahlprozess noch nicht so weit sind.» Im Vorfeld hätten er und andere Berufsberatungsstellen sich dagegen gewehrt, dass die Lehrstellen schon zwei Jahre vor Lehrbeginn, also zu Beginn der zweiten Oberstufe, aufgeschaltet werden. Mit dem 1. April, also rund eineinhalb Jahre vor Lehrbeginn, habe man einen Kompromiss mit der SBBK finden können.
Zudem würden auch heute schon viele Betriebe aufgrund der niedrigen Schülerzahlen im zweiten Semester der zweiten Oberstufe Selektionsschnupperlehren durchführen und Lehrstellenzusagen machen. «Das heisst, ein gewisser Druck besteht jetzt schon, mit dem die Jugendlichen umgehen müssen. Hier gilt es, seitens der Berufsberatungen, die Lehrbetriebe und die Oberstufen-Lehrpersonen bei diesem Thema zu unterstützen und sie dafür zu sensibilisieren», ist er überzeugt.