Für Landratspräsidentin Cornelia Gamma macht die Schweiz ganz viel gut. Besonders stolz ist die Wahlurnerin auf das Bildungssystem, die Freiheit und die Schweizer Erfindungen.
Liebe Schweiz,
Du feierst dieses Jahr deinen 731. Geburtstag und dazu gratuliere ich dir von Herzen. Ich kenne dich seit etwas mehr als 50 Jahren (eine Frau spricht ja nicht so gerne über ihr Alter). In dieser Zeit habe ich dich nicht immer in gleicher Weise geachtet und wahrgenommen. Als Jugendliche warst du für mich vor allem Heimat und ich liebte deine Traditionen. Ich kannte deine Entstehungsgeschichte aus den Schulbüchern und ich quälte mich mit zwei von deinen vier Landessprachen. Die Schweizer Geschichte mit all ihren Jahreszahlen, Schlachten und Siegen lasen sich wie die wildesten Abenteuergeschichten. So zumindest sind meine Erinnerungen. Und der grosse Held war natürlich Wilhelm Tell. Die Hohle Gasse in Küssnacht lag zu meiner Jugendzeit praktisch vor meiner Haustüre und auf der Gessler Burg wurde manche Cervelats über dem Feuer gebrätelt.
Jedes Jahr am 1. August feierte ich mit meiner Familie und Freunden deinen grossen Tag und genoss es natürlich, dass dieser Tag ein Feiertag und somit auch ein freier Tag war. So nahm ich mein junges Leben als Schweizerin wahr. Ungezwungen, freiheitsliebend und voller Träume. Geborgen in einer heilen Welt, ohne mir gross Gedanken an das Warum und Wieso zu machen. Und schon zu dieser Zeit war ich unbewusst sehr stolz und dankbar, in deinem Land zu leben. Dafür danke ich dir.
Seit mehr als 30 Jahren ist nun anstelle des Kantons Schwyz der Kanton Uri meine Heimat geworden und an der Liebe zu den Schweizer Traditionen hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil. Traditionen geben Halt. Vor allem in schwierigen Zeiten, so wie die letzten zwei Jahre, zeigen sie uns, wie wichtig sie sind. Traditionen stärken unsere Identität zur Schweiz. Sie geben uns das Gefühl von Heimat und Sicherheit. Sie haben einen hohen Stellenwert. Jeder Kanton hat ein vielfältiges und reichhaltiges Brauchtum. Und das macht uns einzigartig.
Was macht die Schweiz sonst noch einzigartig ausser ihr Brauchtum und ihre Traditionen?
Genau: «Wer hat’s erfunden?» Ich bin auch stolz auf die vielen Erfindungen der Schweiz: «Rivella, Ricola, Ovomaltine, Toblerone und den Maggi-Bouillonwürfel. Kein Land auf der Welt hält im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung so viele Patente wie die Schweiz.» So zumindest wurde es im Juni 2019 von Sarah Thiele getextet. Nicht zu vergessen die Nespresso Kapsel, die George Clooney mit seinem berühmten «What else?» zum globalen Erfolg verholfen hat. Das Sackmesser und der Reissverschluss gehören natürlich auch noch erwähnt.
Was bedeutet es heute für mich, Schweizerin zu sein?
Die Schweiz hat mit dem Bundesrat seine eigene Regierungsform. Dies kam vor allem in den letzten zwei Jahren zum Tragen. Die Krise, welche Corona uns bescherte, zeigte die Zusammenarbeit des Bundes und der Kantone auf. Für mich war es meistens nachvollziehbar, wenn es darum ging, Änderungen umzusetzen und Anpassungen vorzunehmen. Der Bundesrat ist die Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und bewältigte diesen Ausnahmezustand für mich als Bürgerin eindrücklich und demokratisch. Und halt ab und zu mit dem typisch schweizerischen «Kantönligeist». Die Umsetzung von der Theorie (Massnahmen) in die Praxis (Umsetzung) ist wie überall im Leben eine Herausforderung.
Was die Identität der Schweiz ausmacht, und womit ich mich gut identifizieren kann, ist unter anderem unser (Aus-)Bildungssystem. Grundsätzlich hat jede Schweizerin und jeder Schweizer die Möglichkeit auf eine Ausbildung. Der Weg nach der offiziellen Schulzeit, sich weiterzubilden, steht allen offen. Die Auswahl, die verschiedenen Angebote können auf fast alle Menschen massgeschneidert werden. Zeitpunkt und Alter sind zweitrangig. Das Tempo gibt der Lernende/Erwachsene oft selber vor. Für mich sehr eindrücklich und nachahmenswert, auch für andere Länder. (Haben wir es erfunden?)
Die Freiheit und die Grundrechte sind uns sehr wichtig. Dafür kämpfte schon Wilhelm Tell. Seine Geschichte ist ein Mythos, eine einfache Erzählung, die uns stolz macht und uns die Identität gibt, Schweizerin und Schweizer zu sein. Die Freiheit bedeutet ganz allgemein Unabhängigkeit. Für mich bedeutet Freiheit auch Gerechtigkeit und Gleichheit. Die Freiheit haben und sie auch ausleben können, ist in der Schweiz dank den wunderbaren Berg- und Seenlandschaften von praktisch jedem Ort aus möglich. Ob zu Fuss, mit dem Bike, mit den Ski, mit dem Gummiboot, dem Schiff oder auch schwimmend, die Schweiz hat für jeden etwas Passendes. Ein Blick vom Gipfel eines Berges – die schönsten sind natürlich im Kanton Uri – gibt uns das Gefühl von Demut und Stolz. Es zeigt uns auch, wie klein der Mensch gegenüber der Natur ist. Wie gewaltig die Natur in unser Leben eingreifen kann, wenn wir nicht achtsam sind, die Umwelt nicht schützen und keine Sorge zu ihr tragen.
Natürlich macht die Schweiz nicht alles richtig. Wer macht das schon? Doch aus meiner persönlichen Sicht macht sie ganz viel gut. Und ich als Schweizer Bürgerin kann meinen Teil dazu beitragen. Ich kann mitwirken, wenn ich das will. Ich kann und darf mich äussern, wenn ich das will. Ich fühle mich sicher und bin stolz, Schweizerin zu sein.
Ich freue mich alle Jahre wieder, am 1. August meiner Schweiz zu gratulieren und auf sie anzustossen. Ich wünsche Ihnen allen von Herzen einen schönen 1. August 2022.
Cornelia Gamma hat diesen Text zum 1. August auf Einladung unserer Zeitung geschrieben. Als amtierende Urner Landratspräsidentin ist sie aktuell die «höchste Urnerin».